22. März 2017 Ute Ederle

Meine Stammzellenspende lag zwei Jahre davor. In unserer Ortschaft war eine Frau meines Alters an Leukämie erkrankt. Kenntnis davon erhielt ich durch Zufall, als eine Angehörige mir davon erzählte. Im Gespräch hörte ich, dass sie noch eines von zehn Spendersets zum Typisieren von Blutplasma hätte. Ich bat sie, mir dieses zur Verfügung zu stellen. Damit ging ich zu meinem Hausarzt und ließ mir die entsprechende Menge Blut entnehmen und versandte sie an die vorgegebene Adresse. Außerdem spendete ich die Kosten der Typisierung. Dann hörte ich lange Zeit nichts mehr.

Im November 2002 bekam ich einen Anruf von Frau Dr. Scherer vom Heidelberger Stammzellregister. Gut kann ich mich daran erinnern dass Sie mich gleich beruhigte, dass „nichts passiert“ sei. Das ist verständlich, denn ein Anruf aus einer Klinik geht meistens mit unguten Nachrichten einher. Sie schilderte mir, dass ich infrage käme, Stammzellen für einen Patienten in Hamburg zu spenden. Sie fragte auch gleich, ob ich für eine andere Person spenden würde, als für die ich typisiert wurde. Natürlich erklärte ich mich sofort einverstanden. So erhielt ich noch einmal ein Set für weitere Analysen nach Hause. Wieder ging ich zu meinem Hausarzt und wartete zu.

Einige Telefonate folgten. Mir fiel auf, dass ich hier und später in Heidelberg immer wieder gefragt wurde, ob ich wirklich spenden möchte. Erst später war mir klar warum: Spenden zu wollen und es dann auch zu tun sind zwei völlig verschiedene Situationen.

Nach der Auswertung dieser Blutentnahmen fuhr ich nach Heidelberg in das Universitätsklinikum. Herr Stadtherr erläuterte mir die verschiedenen Entnahmemöglichkeiten. Miteinander entschieden wir uns für die indirekte Methode. Danach begleitete er mich durch das Haus zu den Untersuchungen. Für kurze Zeit musste ich hier einmal im Wartezimmer Platz nehmen, in dem auch viele Krebskranke saßen. Zum ersten Mal konnte ich bewusst Menschen mit diese Krankheit ansehen. Vielen fehlten die Haare und die Gesichter waren ernst und zwar durch alle Altersstufen hindurch. Es war erschreckend für mich. Für eine kurze Sequenz erlebte ich einen Hochmut, über den ich sehr erschrocken war. Insgeheim freute es mich, nicht dazu zu gehören. Dabei hatte mich eines mit zu der Stammzellenentnahme bewogen: der Tod beider Eltern durch Krebs.

Nach einem doch zeitlich kurzen aber durch Erlebnisse langen Tag fuhr ich nach Hause. Im Gepäck hatte ich Serum und Spritzen, die mir mit Hilfe des Hausarztes nach einem vorgegebenen Terminplan verabreicht werden sollten. So kam der Tag der Stammzellenentnahme (18. Dezember 2002) näher. Das Serum löste vermehrt die Bildung von Stammzellen in meinem Knochenmark aus, die dann in die Blutbahnen transportiert wurden. Die Empfindungen waren seltsam. Mit jeder Spritze hatte ich das Gefühl, dass in den Blutbahnen eine Menge los ist ­ ähnlich einem Fluss, der mehr Wasser zu transportieren hat und dadurch schneller wird. Vor allem der Brustraum zog sich manchmal so zusammen, dass ich meinte, Krämpfe zu haben. Diese Situationen ließen mich zu dem Vergleich hinreißen, hochschwanger zu sein und endlich entbinden zu wollen. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes „reif“ zur Entnahme.

In der Vorweihnachtszeit höre ich gerne den Messias von Mozart oder das Weihnachtsoratorium von Bach. In diesem Jahr hatte ich immer wieder den „Messias“ eingelegt, so auch während mir das Blut entnommen und wieder zugeführt wurde. Auf einmal hatte die Verheißung des alttestamentlichen Propheten Jesaja „das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“ eine ganz andere Bedeutung für mich. Während ich das jetzt niederschreibe, höre ich in meinem Innern die Musik dazu. Ich empfinde genauso wie damals, wie viel Hoffnung in „meine“ Stammzellenentnahme gesetzt wurde. Ich wusste, dass da ein Mensch aus seinem Dunkel ein Licht sieht. Mir war aus den Gesprächen bekannt, dass parallel zu meiner Stammzellenentnahme in Heidelberg die Stammzellengabe in Hamburg vorbereitet wurde!

Als dann „meine“ Stammzellen in der Tasche aus dem Klinikum hinaus auf den Weg gebracht wurden, hätte ich gern noch viel mehr dort mit hineingegeben, etwa Grüße in Form eines Anteils meiner Gesundheit oder einfach nur Segenswünsche. In Gedanken begleitete ich diesen Transport. So wurde aus der Typisierung vom Februar 2000 ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art im Dezember 2002.

Seitdem bin ich B.L.u.T.eV. sehr verbunden.
Der Verein ist auf Spenden in jeder Form angewiesen, um seine Arbeit fortzusetzen. Dazu wünsche ich allen Aktiven die nötige Beharrlichkeit.